04.07.2019

Dreitausend Kilometer Radfahren in Dortmund

#bike2work 3000 Kilometer Radfahren in Dortmund

Absteigen ist keine Option

Gestern habe ich mit meinem E-Bike die 3000-Kilometer-Marke geknackt. Als ich im Oktober 2018 mit meinem Büro ins Kreuzviertel umgezogen bin, habe ich mir das E-Bike zugelegt, weil ich keine Lust auf die tägliche Parkplatzsuche hatte. Seitdem habe ich fast alle meine Wege in Dortmund mit dem Fahrrad gemacht.

Ein E-Bike sollte es sein, weil ich meinen inneren Schweinehund kenne. Jahrelang hat er mich sehr erfolgreich davon abgehalten, mehr Rad zu fahren. Sein Argument: Auf dem Heimweg nach Kirchhörde geht es immer bergauf, egal wo ich lang fahre. Das hat gereicht.

Nun habe ich 3000 Kilometer in Dortmund hinter mir. Meist „eco“, also auf der niedrigsten Stufe. 3000 Kilometer, das sind etwa 150 Stunden im Sattel. Bei Sonne, Regen, Schnee und jeder Temperatur. 3000 Kilometer Radfahren das sind aber auch 3000 Kilometer, die ich sonst mit dem Auto unterwegs war. Damit habe ich rund 600 Kilogramm CO2 eingespart. Nicht viel, aber kaum auszurechnen, wenn das alle täten …

Ich liebe Radfahren

3000 Kilometer Radfahren in Dortmund, das bedeutet unzählige Schrecksekunden bei Beinaheunfällen. Aber dazu später mehr. 3000 Kilometer Radfahren in Dortmund, was waren Hunderte von solidarischen Lächeln anderer Radfahrer und Radfahrerinnen. Das waren Hunderte von freundlichen Fußgängern, die ich zur Warnung angeklingelt habe, und die mir das offenbar nicht übel genommen haben. Das war prickelnder Fahrtwind auf meiner Haut. Das war das Spüren der Muskeln beim Antritt. Das war das Gefühl von Kraft und Freiheit, von Tempo und Selbstbestimmung. Das war das Erlebnis von Wind, Nieselregen, Starkregen, Schnee und Sonnenwärme ganz unmittelbar. Das war der Blick über Wiesen, in Wälder, auf die Emscher, den Phönixsee. Das war das Vorbeibalancieren an Kleinkindern auf ihren Laufrädern, die staunend nach oben blicken. Das war das abrupte Abbremsen für Rollatoren, die plötzlich quer auf den Weg geschoben wurden. Das war das Ausweichen für Enten, Gänse, Hunde und Hasen, die meine Wege kreuzten.

3000 Kilometer Radfahren in Dortmund, das bedeutet auch Hunderte von mitdenkenden – oder fühlenden – Autofahrerinnen oder Autofahrern, die mich an kniffeligen Stellen passieren lassen. Ihnen allen gilt mein tiefer Dank. Denn kniffelige Stellen gibt es für Radfahrende in dieser Stadt reichlich. Eigentlich ist Radfahren in Dortmund ein echtes Grauen. Wenn mir früher Menschen gesagt haben, sie fahren in Dortmund kein Rad – und davon treffe ich viele –, weil es zu gefährlich sei, habe ich das eher für eine schlappe Ausrede gehalten. Heute sehe ich das anders.

Von alltäglichen Leiden auf den Straßen

Ich kann die Schrecksekunden und Nahtoderlebnisse auf meinen Wegen nicht mehr zählen. Es vergeht keine Fahrt, ohne Angstmomente. Ohne parkende Autos auf Radwegen, ohne aus Parklücken, Einfahrten oder Seitenstraßen herausfahrende Autos, von denen ich nie weiß, ob sie mich wahrgenommen haben. Fast immer haben sie mich gesehen. Aber fast immer hatte ich dennoch diesen Moment der Unsicherheit, der Angst. Als Radfahrerin reicht ein einziger Fehler, eine Unaufmerksamkeit, ganz egal ob von mir oder von einem Autofahrer, der dich schwer verletzen oder töten kann.

Es beginnt jeden Morgen, wenn ich die Hagener Straße runter fahre. Bergab bekomme ich auch ohne Treten um die 40 Stundenkilometer aufs Tacho. In diesem Tempo rase ich auf dem etwa 90 Zentimeter breiten Radweg Richtung Innenstadt. Vorbei an parkenden Autos, deren Heck oft genug auf dem schmalen Radweg endet. Vorbei an Menschen, die in Seelenruhe ihren Kofferraum beladen und dabei natürlich auf dem Radweg stehen. Vorbei an Autos, die sich rückwärts aus der Parklücke tasten oder die kurz vor mir rechts in eine einbiegen. Links neben mir dann noch ein Bus, der etwa 30 Zentimeter vom Radweg entfernt langschmettert und all die anderen Eiligen mit ihren PKW. „Kraftfahrer, die einen Radfahrer überholen, müssen mindestens einen Abstand von 1,5 Metern einhalten“ – im Zweifel auch mehr, da ist die Rechtsprechung recht eindeutig. Was soll's.

Morgens setze ich meinen Weg dann durch den Rombergpark fort. Der ist für Fahrräder verboten. Aber um diese Zeit ist dort kaum jemand unterwegs, den ich behindern oder verängstigen könnte. Zum anderen fehlt es an autofreien Alternativen. Beide Umgehungsstrecken rechts und links des Parks sind ungepflastert, voller Schlaglöcher, nicht beleuchtet und auch hier tummeln sich Fußgänger, mit denen ich mir den Weg teilen muss. Hinzu kommt: Der westliche Weg führt weiter Richtung Phönix West, der östliche beschert mir eine Passage der unsäglichen Kreuzung des Radweges mit der Auf- und Abfahrt der B54 am Rombergpark.

Stellenwert in der Verkehrspolitik

Verkehrssicherheit á la Dortmund heißt hier, dass erst kürzlich 8 (!) neue Vorfahrt-Achten-Schilder für die Radfahrer aufgestellt wurden, an Auf- und Abfahrt pro Seite jeweils 2 Stück. (Nur ganz nebenbei: Die Scherben einer zebrochenen Bierflasche liegen hier seit Sylvester auf dem Radweg.) Autos kommen mit einer für Radfahrer unglaublichen Geschwindigkeit angeschmettert. Stadteinwärts sind die Übergänge für Radler noch einigermaßen einsehbar, stadtauswärts sind diese Kreuzungen kaum risikolos zu meistern.

Mehr als einmal habe ich hilflos wirkende, vor allem ältere und langsamere Radfahrer hier verzweifelt warten sehen. Komme ich aus der Stadt, muss ich wie eine Eule 180 Grad nach hinten blicken, um zu sehen, ob ein Auto kommt. Anhalten ist hier die schlechteste Option, dann brauche ich viel zu lange, um die gefährliche Fahrbahn zu überqueren. Außerdem bin ich dann zu klein, um über die hohe Leitplanke zu sehen und erkenne Autos viel zu spät. Die sollen hier zwar 60 fahren (was auch schon viel zu schnell ist), sind aber gefühlt deutlich schneller unterwegs. Keine Markierung auf der Fahrbahn, kein Schild, nichts weist auf den kreuzenden Radweg hin außer einem sehr hoch angebrachten Warnschild etwa 100 Meter vor der Abbiegung.

Aber ganz grundsätzlich: Als Radfahrer fahre ich geradeaus, ein Auto kreuzt meinen Weg, und ich muss die Vorfahrt achten. Was sagt das über die Verkehrspolitik aus? Welchen Stellenwert haben Menschen, die auf dem Rad unterwegs sind? Und käme es zu einem Unfall? Die Schuldfrage wäre geklärt, oder? Dabei muss ich an den Artikel in den Ruhrnachrichten über die 455 Menschen denken, die 2018 beim Radfahren im Verkehr gestorben sind. Hier wurde tatsächlich ein Prozentsatz genannt, bei denen die Radfahrenden die Unfallschuld trügen. Unfassbar! Als würden sich Radfahrer wie die Lemminge massenhaft irgendwelche Klippen runterstürzen. Ganz ehrlich, 3000 Kilometer Radfahren in Dortmund heißt auch, dass ich mich fühle wie ein Verkehrsteilnehmer dritter Klasse, hinter Autos und oft auch hinter Fußgängern.

Durchatmen: Das war knapp!

Aber, was soll’s! Ich liebe Radfahren. Außer in den ganz bedrohlichen Momenten, wie erst letzte Woche. Nach einer Besorgung im Indupark radele ich heimwärts die Stockumer Straße lang. Es geht hier bergab. Das freut die Radlerin. Auch ein ordentlich breiter Rad- und Fußweg verleiht ein sicheres Gefühl. Verengt wird der Weg ein wenig an der Stelle, wo der Korbmacher seine Ausstellungsstücke stehen hat. Aber das ist unproblematisch. An diesem Tag parkt genau hier außerdem noch ein schwarzer Smart. Ich rolle die Abfahrt auf ihn zu und sehe ausreichend Platz, um auf dem Radweg auszuweichen.

Wenige Meter bevor ich ihn passiere, fährt die Fahrerin plötzlich an. Genau in die Richtung, an der ich vorbeifahren wollte. Panik. Wenn wir beide unseren Weg fortsetzten, steht der Zusammenstoß unmittelbar bevor. Schon jetzt beim Schreiben schlägt mir das Herz wieder bis zum Hals.

Ich lege eine Vollbremsung hin und weiche Richtung Straße aus, obwohl ich ahne, dass auch dort ein Fahrzeug von hinten naht. Aber in dem Moment ist ein wahrscheinlicher Unfall besser als ein sicherer. Mein Rad beginnt bei dem Ausweichmanöver bedrohlich zu schlingern, als ich leicht an der Bordsteineinfassung langschrappe. Die Räder rutschen seitlich immer mehr weg. Doch irgendwie gelingt es mir, das Rad wieder auszubalancieren und ich komme tatsächlich ohne Sturz und Zusammenstoß an der Stelle vorbei wieder auf den Radweg.

Als ich durchatmen will, ertönt das langanhaltende Hupen der offenbar wütenden Autofahrerin auf der Straße. Ich zittere am ganzen Körper, mein Herz pocht, Tränen schießen mir in die Augen. Ich wette, niemand von den beiden, hat etwas von meinem Drama bemerkt. Du bist so verletzlich als Radfahrerin.

Einfach weiterradeln

Auch Momente wie diese gehören zu 3000 Kilometer Radfahren in Dortmund. Zum Glück, meist nicht so dramatisch. Aber der Schreck wird noch lange mitfahren und mich in völlig harmlosen Situationen brutal einholen.

Dennoch bleibe ich dabei. Ich liebe Radfahren, warte auf eine bessere Verkehrspolitik und Absteigen ist keine Option. Auf die nächsten Dreitausend!

#bike2work

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#bike2work Mit dem Fahrrad vor dem Büro im Dortmunder Kreuzviertel

Geschrieben habe ich den Bericht 2019 nach knapp einem Jahr im Kreuzviertel und meinen ersten 3000 Kilometer mit dem E-Bike im täglichen Berufsverkehr. Heute sind es gut 20.000 Kilometer Radfahren in Dortmund, aber all meine Eindrücke über die Freuden und Schrecken des Radfahrens in Dortmund sind aktueller denn je.
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